Im entspannten Sehen und Hören verändern wir die Welt

Im entspannten Sehen und Hören verändern wir die Welt

Liebe Freundinnen und Freunde des Turmtheaters, verehrtes Publikum!

Ich darf Sie herzlich zur zweiten Hälfte der Spielzeit 2024/25 einladen. Wir haben Ihnen mit Vergnügen und Engagement einige neue und ein paar erprobte Produktionen präsentieren können. Es ist eine Freude, welch positive Resonanz unsere Arbeit bei Ihnen findet. Unser Ansinnen, mit der Unterhaltung immer auch anregenden Gesprächsstoff zum Austausch zu bieten, scheint sich herumzusprechen. Durch die neuen Stücke »Extrawurst« von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob oder »Match Me If You Can« von Nina Hartmann und Gregor Barcal haben wir gesellschaftliche Relevanz mit komödiantischer Unterhaltung gepaart. Das »literarische« Musical »The last 5 years« von Jason Robert Brown berührt durch seine spezielle Erzählweise und die außerordentliche und lyrische Musik einen so lebenswichtigen Nerv von gemeinsam erlebten, abwechslungsreichen Gefühlen – jenseits von Sentiment oder Kitsch. Das Drama »Gift« von Lot Vekemans wird weiter zu sehen sein und rundet unser literarisches Programm am Turmtheater auf ergreifende Weise ab.

Weiter im Programm sind »unsere Klassiker«: »Die 39 Stufen«, »Nein zum Geld«, »Wunder gibt es immer wieder« und »Mei Fähr Lady«. Das Stadt-Kultur-Motto Großwetterlage ist Thema für die »Geschichten im Dialog« mit Bärbel Jogschies und Barbara Gerndt an 5 einzelnen Abenden. Sibylle Schleicher (Autorin von »In einem kühlen Grunde«) ist mit hochkarätigen Klezmer-Musikern zu Gast mit »Bei Einbruch der Wirklichkeit«. Für Kinder und Familien zeigen wir »Krötenschleim und Stinkesocke« mit Magdalena Meier und natürlich den Klassiker »Sternenzauber« mit Melanie Rainer. Richie Necker ist bei uns wieder zu Gast und das Improtheater Chamäleon.

Im Frühjahr erwartet Sie eine spektakuläre deutsche Erstaufführung: »My mum´s a twat & my father´s a cunt« von Anoushka Warden. Es freut uns sehr, Ihnen diese wunderbar vielschichtigen, abgrundtief ehrlichen und dabei enorm unterhaltsamen Stücke aus Groß Britannien präsentieren zu können. Als Sommerkomödie zeigen wir Ihnen ab Mitte Juli das skurril-komische Schauspiel »Jeeps« von Nora Adbel-Maksoud, das in vielen deutschsprachigen Theatern bereits mit großem Erfolg gespielt wird. Im Herbst ab Oktober präsentieren wir den Theaterhit aus Israel: »Kurzschluss« von Noa Lazar-Keinan.

Wir bedanken uns bei der Stadt Regensburg, dem Freistaat Bayern sowie bei allen Mitgliedern und Partnern für die großartige Unterstützung und Förderung des Turmtheaters. Liebes Publikum, ich wünsche Ihnen eine angenehme und anregende zweite Hälfte der laufenden Saison und darf Sie im Namen aller Darstellerinnen und Darsteller sowie im Namen des Teams im Turmtheater herzlich willkommen heißen!

Wenn Sie zum Weiterlesen noch Zeit und Muße haben, möchte ich mit Ihnen gerne einige Überlegungen teilen, die an der einen oder anderen Stelle verdeutlichen können, warum unser Programm ziemlich genau so aussieht, wie es aussieht – und nicht anders. Warum die große Bandbreite von Komödie bis Drama, von Lesungen bis zum Musical? Warum ein gewisses Maß an »Text- und Figurentreue“? Warum stellen wir uns als Theaterleute nicht vermehrt in den Vordergrund, sondern lassen die Stücke, die Geschichten, die Musik und die Figuren von sich und aus sich selbst erzählen?

Es hat den Anschein, als sei die Welt und die Zeit, in der wir gerade leben, etwas aus den Fugen. Wir Künstlerinnen und Künstler sind uns als Gestalter von Zeit, Raum und Inhalt darüber im Klaren, dass jeder Mensch für sich persönlich (und niemand anderes) dafür verantwortlich ist, wie wir die Welt wahrnehmen wollen oder können. Das ist das Wesen von Theater beim Darstellen und beim Zuschauen. In gemeinsamen Erlebnissen und in Freiheit live wahrnehmen, wie sich die Welt durch Geschichten und Erzählungen in uns und um uns herum gestaltet. Die Gesellschaft ist nicht ein schicksalhaftes Naturereignis, dem wir in Freude oder Schrecken erliegen müssen. Wir selber sind die Gestalter unserer Welt und der Zeit, die wir in ihr verbringen. Nirgendwo wird das deutlicher, als bei einem Theatererlebnis, dieser fragilen Kunst des Augenblicks und der Anteilnahme.

Theater ist viel und vieles zugleich, es ist für jeden Spieler, für jede Spielerin und für jeden Menschen im Publikum ein jeweils neues, individuelles und dennoch nur gemeinsam erlebbares Ereignis von unbeschreiblicher Schönheit und Wahrhaftigkeit. Dieses Schauspiel kann nur in Freiheit und Würde geschehen. Es gab und gibt viele Formen von Theater. Unsere Kunst wurde seit jeher immer wieder neu und anders definiert, gesellschaftlichen Strömungen und Prozessen angeglichen oder als Vehikel für bestimmte Aussagen und Meinungen verwendet. Das ist nicht neu, diese Phänomene sind alt wie die Kunst selber. Theater ist die Kunstform alter Rituale und Riten. Wir spüren, dass wir die Freiheit der Darstellung und die frei erlebbare Verbindung zum Augenblick der Darstellung brauchen, um der gesellschaftlichen Verantwortung – unserer Verantwortung jedem einzelnen Menschen im Publikum und uns selber gegenüber – gerecht zu werden.

Unsere fragile Kunst wird schnell dazu herhalten müssen, bestimmte politische Aussagen oder bestimmte Narrative zu bedienen, wenn wir an der Relevanz unserer Kunst als Ausdruck von Freiheit, Ethik und Würde zweifeln. Wenn Theater zum Ort tagespolitischer Korrektheit oder zum Instrument von Meinungen und Einflussnahme wird, verlieren wir einen Raum angstfreier Entfaltung des Bewusstseins. Theater ist durch das freie Erleben in der Gegenwart ein Ort, an dem wir uns als Individuen und als Teil einer wunderbaren Gemeinschaft gleichermaßen empfinden können. Im »Hier und Jetzt« sein bedeutet jenseits aller Erwartungen zu sein. In dieser Absichtslosigkeit von Erleben liegt der Reiz von künstlerischem Theater.

In Zeiten großer Absichten und Manipulationen möchten wir das Turmtheater als freien Erlebnisraum aufrechterhalten und jeden Tag neu lebendig werden lassen. Wir werden uns weiterhin nicht dazu verleiten lassen, das Turmtheater als Verlängerung der tagespolitischen Auseinandersetzung zu benutzen. Wir möchten uns und unser Publikum als kreative und aktive Partnerinnen und Partner herausfordern, uns geistig berühren um unser Bewusstsein zu bilden. Wir werden keine Meinungen bestätigen oder leicht konsumierbare Halbwahrheiten als Unterhaltung verkaufen. Theater ist keine dämpfende Droge für allgemein gesellschaftliches Unwohlsein. Theater lebt von der wirklichen Teilhabe des Publikums. Auch wenn der Begriff »Teilhabe« durch beliebigen Gebrauch problematisch geworden ist, bleibt es doch eine Wahrheit, dass nur ein aktiv partizipierendes Publikum den künstlerischen Vorgang zum Leben erweckt.

Im entspannten Sehen und Hören, Wahrnehmen und Beobachten verändern wir die Welt. Teilhabe ist ein verantwortungsvoller Prozess in Kunst, Politik und Gesellschaft. Es bedeutet Macht und Einfluss abzugeben und zu teilen. Im Theater können wir erleben, wie sich Muster des kollektiven Denkens und Fühlens bilden und wie sie wieder vergehen: den lebendigen Vorgang von Sein – jenseits von »richtig« und »falsch«. Dualistische und »antagonistische« Denkweisen führen zu unüberbrückbaren Konflikten bis hin zur Feindbildung. »Wer nicht für uns ist, ist gegen uns«, dieses Diktum hat in vielen verschiedenen Kreisen hohe Konjunktur und führt ganz offensichtlich zu Blasenbildung und Ausgrenzung. Andererseits ist der Zwang zum Konsens ebenso wenig konstruktiv und schläfert alle Teilhabe und jeden Austausch ein.

Wenn wir verstehen, dass weder Antagonismus noch Agonismus für ein lebendiges Theater nötig sind, dass wir keine neue Positionierung von Theater im politischen Kontext brauchen, um menschlich und gesellschaftlich relevant zu sein, dann merken wir vielleicht, dass »Theater machen« und »ins Theater gehen« aus sich selbst heraus bereits politisch sind. Theater ist ein öffentlicher und privater Raum gleichermaßen. Alle Beteiligten sind »Subjekte und Objekte unabhängigen Denkens und allumfassenden Bewusstseins«. So wollen wir uns verstehen und erleben, wenn wir ins Theater gehen.

Jeder, der ins Theater kommt, Darstellerin, Performer, Zuschauerin oder Zuhörer, alle sind Teil einer größeren Gemeinschaft, geadelt und hervorgehoben durch Hautfarbe, Geschlecht, Körper, Beruf, Klasse oder was es auch immer sei…. Die bürgerlichen und nicht-bürgerlichen Diskussionen, wer von wem, oder wer mit wem wo vertreten wird, wer welche Rechte hat, etwas zu spielen oder nicht zu spielen, all die relevanten oder nicht relevanten Fragen von Gender, Rasse oder Himmelsrichtung, all diese Fragen spiegeln sich im Theater wider und können in kreativem Erleben performativ auf- und eingelöst werden. Dieser Vorgang setzt im Erleben positive, kreative und gesellschaftlich relevante Energie frei. Diese unerschöpfliche Energie ist frei von jeder »Meinung« oder »Position«. Wir können diese Energie in jeder Form zu jederzeit für ein wunderbares Miteinander einsetzen. Wir können uns beim Denken zusehen, beim Fühlen begleiten. In diesem Sinne ist Theater immer politisch.

Ich wünsche uns allen interessante und bewegende Vorstellungen im Turmtheater und damit immer:

Gute Unterhaltung.

Herzlichst, Ihr

Markus Bartl

Turmtheater Regensburg
Künstlerischer Leiter
Vorsitzender Kulturturm e.V.


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